Geschichte Gratkorns

V®ffiw®ffiH UREEB E[NELHE]HusEN® DES VEitFASSEits Mag. Ingo Mirsch Nachdem sich auch die Kultuapolitik der Markt- gemeinde Gratkom tiber Jahrzehnte, so wie in an- deren Gemeinden, in er- ster Linie auf die F6rde- rung der 6rtlichen Ver- eine beschrankt hat, ver- folgt die gegenwartige Gemeindevertretung seit einigen Jahren eine innovative, aktive Kul- tuxpolitik. Aus schlagge- bend da fur ist in erster Linie das Faktum, daB spatestens seit dem "Ortlichen Entwicklungskonzept 2.0" aus dem Jahre 1990 gezielt die Zu- wanderungjtingererAltersgrup- pen forciert wird und somit die Kommunalpolitik vor neue Auf- gaben gestellt wird: Verbesse- rung der Nahversorgung, Handel mit Gtitern des gehobenen Be- darfes, breites Freizeitangebot und - Hebung des kulturellen Angebotes. Wenn vergleichbare Gemeinden des Bezirkes teilweise schon seit Beginn des Jahrhunderts tiber eine historische Dokumentation verfugen und manche bereits eine dritte in Auftrag gegeben haben, so ist das diesbeztigliche Defizit in Gratkom wohl auf den Umstand zurtickzufuhren, daB die 6rtliche Sozialdemokratie tiber eine etwas losere Bindung zu den Bereichen Heimat- und Volkskunde, Denkmalpflege, Lokal- und Regionalgeschichte, Archaologie, mittelalterliche Geschichte etc. verfugte. Der Abstand der Sozialdemokra- tie zur "Heimat" ist jedoch er- stens ein politisch erzwungener (vgl. meine Ausfuhrungen tiber die Entwicklung des Gemeinde- wahl-und Heimatrechtes), zwei- tens wurde dieser Abstand von manchen, allerorts faschistoide Tendenzen wittemden Sozialde- mokraten selbst herbeigefuhrt. Und drittens lag es wohl auch nicht immer im "Blut" einer in- temational ausgerichteten Bewe- gung, ihre Aufmerksamkeit auf regionale und lokale historische Fragestellungen zu lenken. Ftir viele steirischen Gemeinden begann im 19. Jahrhundert ein grundlegender demographi scher und wirtschaftlichen Wandel, der politisch, sozial und kulturell sei- ne Auswirkungen zeigte. Mit der Entstehung industrieller Betrie- be erlebten einzelne Gemeinden innerhalb von knapp 20 Jahren Bev61kerungszuwachse von 100 bis 200 Prozent, andere erlitten massive Bev61kerungsverluste. Nattirlich waren solche eklatan- ten Zuwachse nicht auf Steige- rungen der Geburtenraten in den Gemeinden selbst zurtickzufuh- ren; sic beruhten dort auf massi- ven Zuwanderungen, wo in kur- zer Zeit groBe Betriebsan- siedlungen entstanden. Dafur ist Gratkorn ein Musterbeispiel. Eine solcherart von der Industrie bewirkte Entstehung und Ver- mehrung des 6rtlichen Proletariates fuhrte in Gratkorn, besonders seit 1870, zu abrupten Zasuren in so gut wie allen Be- reichen der Kommunal- geschichte. Arbeitskrafte zogen aus dem gesamten Raum der Monarchie zu, - Italiener, Slo- wenen, Tschechen siedelten sich in einer bislang rein landwirt- schaftlich dominierten Gemein- de an. Diese zuwandernden Menschen besaBen nicht mehr, weniger, schlechtere oder besse- re Traditionen als der einheimi- sche Bauer, aber sic, die Arbei- ter, waren ausschlaggebend fur den Wandel eines jahrtausende- alten agrarisch gepragten Ge- meinwesens zur Industrie- gemeinde Gratkorn. Dieser Wandel, ein ftir sich schon immens interessanter hi- storischer ProzeB, verpflichtet andererseits zur Dokumentation des "alten" Gratkom. Dem knapp 150 Jahre alten Industrieort Grat- kom stehen knapp 12.000 Jahre "nichtindustrieller" Geschichte gegentiber. So vermag der Leser zu erahnen, welche 6konomischen, sozialen und kulturellen Veranderungen, Faktoren, die in erster Linie ein BewuBtsein fur die Heimat ent- stehen lassen, in den kommuna- len Strukturen hervorgerufen wurden. Die Heimat des Gratkomer Fabriksarbeiters (und der ersten sozialdemokratischen Gemeindemandatare) war eben nicht die Zigeunerh6hle, nicht die"wetterbraune Bauernburg", nicht der "tannengrtinen Berg- graben" und nicht der "rauschen- de Wildbach". Der 1870 zuge- wanderte italienische Fabriks- arbeiter, der in der Gratkorner Papierfabrik arbeitete, ein aus Leoben zugewanderter Btirger- meisterAntonKamperoderWil- helm Partbauer aus W611ersdorf, muBten sich ihre Heimat erst schaffen. Ftir sie waren die Fa- brik und ein zw6lfsttindiger Ar- beitstag Heimat und wenn in der Freizeit MUBe fur Weiterbildung und kulturelle Betatigung blieb, war das hoch anzurechnen. Le- diglich die Papierfabrik trat in dieser Zeit bereits durch Publi- kationen tiber ihre Geschichte hervor. In der jtingeren Vergangenheit fehlt es trotzdem nicht an hervor- ragenden Arbeiten zur Kommunalgeschichte (ich er- wahne nur Clemens Brandtner und Peter Cede), doch fanden diese nicht Zugang zu einem breiten Publikum.

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